Es gibt Menschen ohne Geschmack, meine Damen und Herren. Das ist faszinierend. Und ein solches Faszinosum ist allem Anschein nach Mariah Carey. Sie wissen ja, dass ich schon seit längerer Zeit tapfer für Sie «Mariah’s World» verfolge, diese ungeschönte Langzeitdokumentation aus dem wechselvollen Leben einer gebeutelten Künstlerin, und ich denke, nun bin ich soweit, dass ich die Feststellung treffen darf: Neben Mariah Carey erscheint Donald Trump wie Giorgio Armani. Die Ausstattung von Mariahs Welt folgt einem Dogma, für das ich das Etikett «Neronischer Casinostil» vorschlagen möchte. Mar-a-Lago ist der Barcelona-Pavillon dagegen.
Das Interessante an dieser Art von Geltungskonsum ist die Ansicht, dass Geschmack käuflich sei. Nun ist aber Geschmack ja nicht so sehr, oder nicht allein, der Ausdruck ästhetischen Gefühls, Urteilssinns, Gefühls für Harmonie, sondern auch ein Gespür für Angemessenheit. Man könnte sagen: Geschmack drückt schon (ansatzweise) die moralische Haltung eines Menschen aus. Ein Mensch etwa, der sich geschmackvoll anzieht, hat Verständnis für Situationen, also wird er alles Sinnlos-Laute, Klischeehaft-Plakative und Pseudo-Provokative meiden wie der Teufel das Weihwasser. Dieser Mensch kennt ferner seine eigenen äusseren Vorzüge und Nachteile, das heisst, er ist geübt in der schwierigsten Disziplin von allen, der Selbsterkenntnis. Mit dem Geschmack verhält es sich also ähnlich wie mit der Rücksicht: Die rücksichtslose Haltung äussert sich in jeder Handlung, geschmackvolle Haltung äussert sich in allen Ansichten. Sie ist nie eine Frage der Kaufkraft.
Das heisst aber auch: Die wahre Provokation ist stets geschmackvoll.
Und nun entschuldigen Sie mich. Ich muss «Revenge Body» schauen. Mit Khloé Kardashian.
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